Die jüngste Ergänzung der EU-Leitlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung hat das Ziel, Kapital in nachhaltige Investitionen zu lenken. De facto kann sie sich aber zu einer Wachstumsbremse entwickeln.
Die EU-Kommission hat Ende Juni ihre Leitlinien zur nichtfinanziellen Berichterstattung um einen Nachtrag zu klimabezogenen Angaben ergänzt. Damit greift sie ihre Zielsetzungen zur Stärkung nachhaltigen Wachstums auf: Investoren – zuvorderst Finanzinstitute – sollen durch eine Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung Aspekte der Nachhaltigkeit bei Finanzierungsentscheidungen stärker berücksichtigen. Wie sich in der Folge aber zeigen wird, ist die Ausweitung der Leitlinien zur nichtfinanziellen Berichterstattung kein geeignetes
Mittel hierzu.
Stattdessen regt die Kommission mit ihrer Verlautbarung nicht nur zu einer Intensivierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung durch große Unternehmen an, sondern erweitert indirekt die Berichterstattungserfordernisse von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Noch schwerer wiegen für KMU die mit der Mitteilung der Kommission mutmaßlich einhergehenden Einschränkungen bei der Kreditvergabe. Dazu kommt, dass sich das Vorgehen der Kommission nicht in den bestehenden Rahmen des EU-Bilanzrechts einfügt und schwerwiegende rechtssystematische Mängel aufweist.
Berichterstattung wird sozialer und ökologischer
Wie kam es zu dieser Fehlentwicklung? Die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung trifft in der EU auf den ersten Blick nur bestimmte große Unternehmen. Diese wurden mit der Verabschiedung der CSR-Richtlinie (2014/95/EU) erstmals ab dem Jahr 2017 zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Die Umsetzung der Vorgaben stellt(e) schon die großen Unternehmen vor immense Herausforderungen. Hintergrund war insbesondere die Neuartigkeit der Einbeziehung einer nichtfinanziellen Perspektive in die unternehmerische Berichterstattung in Verbindung mit der hohen Auslegungsbedürftigkeit der Regelungen.
Um diesen Problemen Abhilfe zu verschaffen, sah die CSR-Richtlinie die Erarbeitung unverbindlicher Leitlinien zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen durch die EU-Kommission vor. Diese wurden 2017 – mit deutlicher Verspätung – veröffentlicht. Sie sollten bei der Umsetzung der Berichtspflichten Orientierung bieten, waren jedoch von einer Vielzahl an Inkonsistenzen geprägt, die ihren Nutzen einschränkten. Dabei wirkt es, als würde die Kommission die Berichtspflichten überbordend auslegen: Wo der Richtlinientext noch stark auf die Unternehmensperspektive abstellt und Unternehmen darüber berichten lässt, was für ihre Lage (und ihre Investoren) bedeutsam ist, zeigte sich nunmehr eine Tendenz in Richtung einer wesentlich weiter gehenden ökologischen und sozialen Berichterstattungskonzeption. Ihr vom EU-Parlament eingeräumtes Mandat überschreitend – und von einer Vielzahl an Interessengruppen beeinflusst –, scheint die Kommission bestrebt zu sein, die Berichtspflichten auf diesem Wege wesentlich auszuweiten.
In seiner ganzen Tragweite wurde dieses Problem nunmehr im Juni 2019 offensichtlich, als die EU-Kommission ihren Nachtrag zu den besagten „Leitlinien über klimabezogene Angaben“ veröffentlichte. Entgegen ihrem eng abgesteckten Titel adressieren diese (auch) grundlegende Fragen der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Anders als in der CSR-Richtlinie vorgesehen stellen die Leitlinien bei der Abgrenzung von Umfang und Inhalt der Berichterstattung nicht mehr nur auf die Unternehmenslage und -interessen als Ausgangspunkt für das unternehmerische Handeln – in Form des sogenannten Wesentlichkeitsgrundsatzes – ab. Stattdessen wird die Messlatte des Wesentlichkeitsgrundsatzes deutlich herabgesetzt.
Scheinzusammenhänge könnten kontraproduktiv wirken
So sollen in umfassender Weise weitere, vorwiegend für NGO relevante Angaben (mit entsprechendem Mehraufwand) in die Berichterstattung integriert werden. Eine Verwässerung der Berichterstattung ist zu befürchten, die jedem Verständnis von einem sinnvollen Rahmen für unternehmerische Verantwortung entgegensteht. Der pragmatische
und potentiell wirksame Grundgedanke der Nachhaltigkeitsstrategie der EU rückt in den Hintergrund: dass nämlich jeder Wirtschaftstreibende selbst davon profitiert, wenn er seine nichtfinanziellen Risiken kennt und in die Geschäftsentscheidungen integrieren kann.
Mögen die zuvor genannten Kritikpunkte noch stark von formalen Erwägungen geprägt sein, so offenbart sich der entscheidende Problemkern der aktualisierten Leitlinien für die Nachhaltigkeitsberichterstattung in den realwirtschaftlichen Folgewirkungen, die damit einhergehen können. Die EU-Kommission sieht in ihren Leitlinien eine lange Liste an klimabezogenen Angaben vor.
Weiterhin legt sie es Finanzinstituten nahe, diese auch bei ihren Anlage- und Kreditvergabeentscheidungen zu berücksichtigen. Die angeführten Indikatoren selbst folgen dabei dem, was von NGO und internationalen Nachhaltigkeits-Standardsettern schon seit langer Zeit gefordert wird. Damit trifft sie aber die hieran geäußerte Kritik gleichermaßen: dass sie nämlich die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen unternehmerischem Handeln und Klimaeffekten nur unzureichend begründen und damit Zusammenhänge unterstellen, die im Ergebnis sogar zu kontraproduktiven Wirkungen führen. Wenn die Empfehlungen beispielsweise nahelegen, dass Banken Kredite für die Finanzierung von Immobilien einschränken, die einen niedrigeren Klimastandard aufweisen, als dies bei einem Neubau der Fall wäre, so lässt dies die viel wichtigere Frage unberücksichtigt, ob die Sanierung „klimaschädlicher“ Immobilien den Klimawandel nicht weniger stark begünstigen würde als die Errichtung von klimaeffizienteren Neubauten.
KMU könnten benachteiligt werden
In der Folge ist auch mit Einschränkungen bei der Kreditvergabe oder der Zusage von Versicherungsleistungen zu rechnen. Wenn Banken angehalten sind, bei ihrer Kreditvergabe im Wesentlichen nachhaltige Projekte zu finanzieren, so wird sich die Anzahl an finanzierungswürdigen Projekten deutlich reduzieren. Außerdem legt die Mitteilung eine
Verteuerung der Finanzierung für nicht nachhaltige Projekte – die den weit überwiegenden Teil der Wirtschaftsleistung betreffen – nahe. Gleichermaßen empfiehlt die Kommission in den Leitlinien, den Umfang an Versicherungsleistungen zu begrenzen. Darum werden etwa solche Investitionen gehemmt, die auf geographische Gebiete entfallen, die in hohem Maße klimabezogenen Risiken ausgesetzt sind. Auch dies scheint kontraproduktiv.
KMU scheinen im Besonderen von den Berichtspflichten negativ betroffen – obschon eigentlich nur Großunternehmen im unmittelbaren Anwendungsbereich stehen. Dies hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Die Berichterstattung erfordert den Einbezug von Informationen über alle Unternehmen, die Teil der Wertschöpfungskette des berichtenden Unternehmens sind. Demzufolge müssen sich KMU, die in die Wertschöpfungskette integriert sind, mit den von der Kommission gewünschten Angaben auseinandersetzen. Auch hier spielen wieder die Anlage- beziehungsweise Kreditvergabeprozesse von Finanzinstituten eine entscheidende Rolle.
Eine Benachteiligung von KMU im Zugang hierzu ergibt sich, da Großunternehmen sich in vielen Fällen leichter tun werden, die geforderten Nachweise zu erbringen beziehungsweise (inhaltliche oder geographische) Anpassungen in ihren Geschäftsmodellen vorzunehmen, um sich an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Dieses Problem, das schon bei der Verabschiedung der CSR-Richtlinie vor fünf Jahren thematisiert wurde, erhält nun mehr Nachdruck. So handelt die EU-Kommission nunmehr eigenen Initiativen der Vergangenheit entgegen, die auf eine Stärkung des KMU-Sektors zielen.
Der Nachtrag zu den Leitlinien gibt Unternehmen keine hilfreiche Orientierung für ihre Berichterstattung, da dieser in vielen Punkten mit dem verbindlichen Rahmen der CSRRichtlinie in Konflikt tritt. Ebenso wenig scheint er geeignet, das Ziel, Kapital in nachhaltige Investitionen zu lenken, zu erreichen, ohne dass hiermit neue Probleme geschaffen werden.
Damit gefährdet die EU-Kommission nichts weniger als die gesamte Idee der „Sustainable Finance“. Dieser Fehlentwicklung entgegenzutreten wäre Aufgabe der betroffenen Unternehmen, ihrer Interessenvertretungen und nicht zuletzt der Politik.
Über die Autoren
Karina Sopp ist Inhaberin der Professur für Entrepreneurship und betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der TU Bergakademie Freiberg.
Josef Baumüller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der WU Wirtschaftsuniversität in Wien.
Quelle: F.A.Z. (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/klima-statt-wachstum-eu-entscheidet-ueber-berichterstattung-bei-unternehmen-16284461.html)