
Prof. Barbknecht, wie stehen Sie zu den Coronaprotesten und Montagsspaziergängen in Freiberg?
Die Vorfälle in Freiberg und anderswo in Sachsen mit rechtswidrigen Demonstrationen und die Bedrohung des Ministerpräsidenten, anderen Politikern und gegen die Polizei sind verwerflich und auf das Schärfste zu verurteilen. Angesichts von über 100 Tausend Toten in Deutschland ist es für mich nicht nachvollziehbar, wenn Menschen sich und andere gefährden, indem sie Vorsichtsmaßnahmen wie Kontaktreduzierung, Hygieneregeln oder Masken verweigern.
Die Pandemie hat Menschen wirtschaftlich unterschiedlich hart getroffen. Restaurant- und Geschäftsschließungen, fehlende Kulturveranstaltungen, das Wegbrechen des Tourismus sind unter anderem massive Bedrohungen für viele Bevölkerungsgruppen. Viele Teilnehmer an den Spaziergängen mögen aus Angst um ihre eigene wirtschaftliche Existenz mitlaufen. Das ist nachvollziehbar. Kein Staat der Welt hat es jedoch auf Dauer ausgehalten, auf Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu verzichten, ohne noch mehr Tote in Kauf nehmen zu müssen. Wir müssen uns eingestehen, es ist das Corona-Virus, welches unser Leben einschränkt, nicht die Regeln zu dessen Bekämpfung.
Ich hoffe daher sehr, dass die Betroffenen ihre Nöte und Ängste nicht von politisch extremen Kräften ausnutzen lassen, die ein anderes Ziel anstreben – nämlich die Destabilisierung unseres demokratischen Rechtsstaates. Hierfür eine Plattform zu geben, steht Freiberg nicht gut zu Gesicht.
Für die Gesamtsituation sind die sogenannten „Spaziergänge“ in Freiberg, Maskenverweigerungen, Regelverweigerungen und Skandieren von Stammtischparolen nicht hilfreich und in ihrer Art und Weise falsch. Die „Spaziergänger“ sollten sich bewusst sein, dass sie damit der Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft der Stadt Freiberg und der Gesellschaft großen Schaden beifügen können, der sich nicht so leicht reparieren lässt.
Angst ist eine menschliche Eigenschaft, die wir nicht auslöschen können. Wir müssen sie respektieren und können nur versuchen, ihr mit Aufklärung zu begegnen. Dies wird eine große Herausforderung hinsichtlich der weiteren Pandemiebekämpfung sein. Dazu gehört auch die Debatte um Impfungen und eine Impfpflicht. Die individuelle körperliche Unversehrtheit ist ein Menschenrecht und ein sehr hohes Gut. Ich persönlich bin daher der Meinung, dass es im Wesentlichen deshalb die Entscheidung des Einzelnen bleiben muss, ob er einer Impfung zustimmt. Überzeugung und Vertrauen sind hier besser als Zwang. Vielleicht hilft es denjenigen, die sich aus Angst nicht impfen lassen, dass der ganz überwiegende Teil unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie unserer Studierenden geimpft ist.
Aus diesem Grund hat die Stadt Freiberg Ende des vergangenen Jahres noch die Imagekampagne #WirliebenFreiberg gestartet. Die TU Bergakademie Freiberg ist Partnerin. Wie steht die Universität zu der Kampagne und wie bringt sie sich ein?
Die Pandemie und ihre Bekämpfung haben uns nicht nur in eine gesundheitliche, sondern auch in eine gesellschaftliche Krise geführt. Das wollen wir beenden und deutlich machen, dass Freiberg so viel mehr ist, als in der aktuellen Medienberichterstattung gezeigt – nämlich ein weltoffener Standort der Wissenschaft, des Studierens, der Kultur, der Wirtschaft und der Industrie. Dafür steht die übergroße Mehrheit Freibergs – und auch die TU Bergakademie Freiberg.
Im Sinne des Leitbildes unserer Universität treten wir für einen wissenschaftsbezogenen, angstfreien und weltoffenen Diskurs ein und stemmen uns mit aller Kraft gegen die Verbreitung von Unwahrheiten, gegen Radikalisierung und Intoleranz sowie gegen die Gewalt. Das wollen wir der Öffentlichkeit sowie unseren Partnern aus allen Teilen der Welt auch deutlich zeigen – über alle uns zur Verfügung stehenden Kanäle und Formate.
Das Bild unserer Stadt darf nicht von einer kleinen, wenn auch lautstarken Minderheit bestimmt werden und unseren Ruf in der Welt beschädigen. Daher unterstützen wir die Kampagne der Stadt Freiberg und bringen uns mit eigenen Beiträgen unter dem Motto #FreibergistWissenschaft ein.
Damit wollen wir verdeutlichen, dass wir der Wissenschaft vertrauen und uns dem Erkenntnisgewinn, verbunden mit Faktenanalysen und ständigem Hinterfragen, verpflichtet fühlen. Wissenschaft ist in Freiberg seit Jahrhunderten verankert und Teil unserer Geschichte. Und sie ist ein wichtiger Arbeitszweig in der Region. Neben der Universität als größte Arbeitgeberin haben in den letzten Jahren immer mehr namhafte Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen in Freiberg einen Sitz gefunden. Das Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie, Fraunhofer THM und IKTS, das FILK, Freiberg Instruments, Meyer Burger, Saxonia, Siltronic oder das Krankenhaus sind nur einige Beispiele. Sie alle stehen für die Wissenschaft in Freiberg und dem damit verbundenen Vertrauen in Forschung und Erkenntnisgewinn.
Initiativen wie das Netzwerk „Freiberg für Alle“ sind schon eine ganze Weile aktiv gegen Radikalisierung, Fremdenhass und auch gegen die Instrumentalisierung der „Spaziergänge“. Warum positioniert sich die Universität erst jetzt?
Als Rektor unserer Universität versuche ich stets, eine parteipolitische Neutralität zu bewahren. Das heißt jedoch nicht, dass die Universität oder ich unpolitisch sind. Wir sind ja ein Teil der Region und der Stadtgesellschaft und damit auch immer politisch eingebunden. Nichtsdestotrotz muss ich mir vorwerfen, dass wir als Universität zu lange geschwiegen haben. Wir sind eine Institution des Denkens und der Aufklärung. Es liegt daher auch in unserer Verantwortung, uns zu rufschädigenden und nicht regelkonformen Protesten zu äußern und uns zu positionieren.
Wir müssen gemeinsam aus der gesellschaftlichen Krise heraus kommen und wieder das friedliche und tolerante Miteinander pflegen, für das Freiberg seit Jahrhunderten steht. Denn am Ende der Krise müssen und sollten wir uns alle noch in die Augen schauen und miteinander reden können.